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Am 28. Mai treffen die 9 Teilnehmer – zwei von ihnen erst kurz vor Mitternacht – in Nida/Nidden ein. Im Haus “Aika” werden sie mit Kaffee und Kuchen von Irmtraut empfangen. Danach werden erste Eindrücke dieser einzigartigen Landschaft und dieses bekannten und so beliebten Ferienortes auf der Kurischen Nehrung gesammelt.
Als ich am Donnerstag nachmittag in Nidden eintreffe, regnet es in Strömen. Erstmal begrüße ich Irmchen in der Villa Aika, die mich sofort mit Kaffee und Kuchen bewirtet, und mache mich dann auf einen Spaziergang in den Ort und ans Haff. Die Wettervorhersage bei wetteronline.de sieht gut aus, also kann es sich jetzt ruhig ausregnen.
Der Flieder, der hier immer noch in voller Blüte steht, hat es mir angetan. Es stehen aber auch Säulen von Mücken in der Luft, meist aber Haffmücken, die nicht stechen. Mund zu! Gegen 17h sind alle bis auf Hans und Waltraud (die in der Nacht mit der verspäteten Fähre aus Kiel ankommen) eingetrudelt und wir gehen zum Fahrradverleih im Hof des Jurate-Hotels. Ich wähle sehr schnell einen stabilen Panther-Ackergaul, erhalte wunschgemäß einen Korb am Lenker und bin zuversichtlich. Leider versäume ich es (und Bernd auch), die Reifenprofils zu prüfen, was ich später bedauern werde! Ein bisschen bänglich ist mir schon zumute, dies ist meine erste mehrtägige Fahrradtour. Hoffentlich werde ich gut durchhalten!
Nach einem üppigen Abendessen geht es früh ins Bett, denn am Freitag, den 29.5. wollen wir um 9.30h starten und das tun wir dann auch um 9.45h.
Schnell sind wir an der Grenze zum russischen Teil der Kurischen Nehrung.
Dort hat Regine ihren ersten Platten. Die Arme! Es bewährt sich sofort das Reparaturteam, alle Männer sind engagiert und bald ist Regines Rad wieder flott.
Wir treffen Boris und Vadim (der uns die gesamte Tour mit seinem alten russischen Rennrad begleiten wird) und schon wird der erste Besichtigungsstopp im Dorf Pillkoppen (Morskoje) eingelegt. Wir suchen den alten Friedhof auf, aber deutsche Gräber gibt es nicht mehr. In sowjetischer Zeit wurden die Namen auf den Grabplatten ausgefräst, diese dann als Baumaterial weiterverwendet. Jetzt ist dort ein alter, sehr idyllischer kleiner Friedhof mit von blau- und grüngestrichenen Metallgittern umzäunten Gräbern mit Plastikblumen und Fliedersträuchern. Von der Düne hat man einen herrlichen Blick aufs Haff und auf die Epha-Düne, die unser nächster Stopp sein wird. Atemberaubende Ausblicke auf Haff und Ostsee. Regine hat den zweiten Platten, Volker zieht mehrere Glassplitter aus dem Schlauch. Ein besseres Reparaturteam gibt es nicht!
Wir haben eine Kaffeepause verdient und kehren in Rossitten ein. Ich persönlich wäre lieber ins Dorf gefahren, aber der Kaffee und die Blinis, die uns serviert werden, sind lecker. Boris ist sichtlich stolz auf das Hotel, das mit Hubschrauberlandeplatz, Sonnenliegen, kleinem Pool, Grillgarten, Seeräuberkogge für die Kids und kleiner Marina für Motorboote ausgestattet ist und klar eine betuchte Klientel ansprechen soll. Wir Westler sind allerdings da ziemlich blasé und uns gefällt nicht, daß die Reichen sich hier so hinter Mauern und hohen Zäunen verschanzen.
Bei der Ausfahrt aus dem Dorf rennt mir fast ein Betrunkener ins Rad, schöner Schreck! Nächster Besichtigungsstopp: An Fundamentresten der alten Segelschule vorbei zum „Tanzenden Wald". Ein kleiner Regenschauer läßt uns unsere Anoraks hervorholen und so geschützt geht es durch Sarkau (Lesnoi) dann schnurgerade mit intensiverem Autoverkehr aus dem Gebiet des Nationalparks heraus nach Crantz (Selenogradsk).
Von dem kleinen Hotel „Villa Lana" in der Parallelstraße der Strandpromenade sind wir alle angetan, am meisten von der Freundlichkeit der Mitarbeiterinnen. Dusche, dann erstes russisches Bier - Baltika 4 - sehr zu empfehlen! Zum Aperitiv werden wir in die Wodkatrinkkultur eingeführt und dann gibts „Königsberger Klopse", ein Gericht, das die russischen Restaurants im Oblast den deutschen Touristen auftischen, wie uns Boris verrät.
Nach dem Abendbrot geht es auf die Strandpromenade, ein Mix von sowjetischem Betoncharme, Ruinen aus deutscher und gegenwärtiger Zeit, einzelnen Neuinvestitionen, insgesamt überwiegt Tristesse. Kaum zu glauben, daß dies ein mondänes Seebad war. Aber das Meer und ein schöner Sonnenuntergang versöhnen und wir sind alle mit dem Tag zufrieden!
Irmtraut
Wir verbrachten die Nacht im Hotel Lana in Cranz, um 7:55 versammelten wir uns zum Frühstück,wurden aber daraufhingewiesen, dass wir es für 8:00 bestellt hatten. Wir warteten,dann war es fertig und es war gut.
Kurz vor 9:00 verlassen wir das Hotel Lana, die Sonne scheint und ein frischer Ostwind weht.
Wir beladen unsere Räder, werden freundlich verabschiedet und starten in Richtung Bahnhof, Bernd braucht Rubelchen. Das Centrum von Cranz ist grau und trist, wir verlassen die Stadt in südlicher Richtung, überquerren die Bahnschienen, biegen links ab. Auf asphaltierten Straßen radeln wir gen Osten durchs flache Samland, wenig Ackerbau, viel Brache, trotzdem eine schöne weitläufige Landschaft, links dahinter das Haff und die Nehrung mit ihren einzigartigen Dünen, über uns der herrlich leicht wolkige Himmel.
Kleine Orte am Wegesrand, alte Gehöfte aus der Vorkriegszeit, manchmal gut erhalten, viele kurz vor dem Verfall, vor jedem Haus wachte mindesten ein Hund. Das Dorf Schaaken und die alte Ordensburg erbaut um 1270 in Erd - und Holzkonstruktion, 1328 in Stein ausgebaut, im Krieg unbeschädigt geblieben, danach als Kinderheim und für lanwirtschaftliche Zwecke genutzt.
Ab 1975 ungenutzt und dem Verfall überlassen. Ein Abstecher ans Haff durchs Fischerdorf Schacksvitte (Kaschirskoje) am Fluss Beek gelegen, ehemals ein bedeutender Hafen am Haff. Heute ein fast zugewachsener Fluss mit alten Fischerbooten und Blechhütten am Ufer. Alle Häuser blieben im Krieg unversehrt,es gab ca. 700 Einwohner, am 27.Jan. 1945 Einzug der Rotarmisten. Am Flusslauf entlang zum Haff, hier legten wir eine Pause ein. Ein scharzes eingefriedetes Denkmal errinnert an den tragischen Unglückstot von 17 Eisfischern, die auf einer Eisscholle, die sich löste, abgertrieben wurden. Lange schwarze Vogelketten zogen übers Wasser, das Fernglas von Hans brachte Gewissheit, Komorane, unendlich viele. Der kalte Wind trieb zur Rückfahrt. Hinter rmächtigen alten Eichen versteckt die Ruinen der Kirche Schaaken, sie wurde in der Ordenszeit im 1400 Jahrhundert erbaut, hatte 600 Sitzplätze und den Krieg heile überstanden, blieb danach ungenutzt und verfiel zur Ruine. Der zur Kirche gehörende Friedhof wird noch heute genutzt und gepflegt.
Der Ostwind wurde stärker, wir mussten gegenan, Regine tat sich schwer, Bernd und Vadim organisierten bei Anwohnern ein Auto, Regine samt Rad wurde nach Labiau zum Marktplatz gefahren. Wir radelten weiter zur Hauptstrasse A 190, die von Königsberg über Labiau nach Tilsit führt. Nach ca. 18 km der Ort Gr. Legitten (Mordowskoe) Die alte Ordenskirche um 1400 als schlichter Felssteinbau errichtet überstand auch den Krieg. Sie wurde bis 1984 als Getreidespeicher genutzt, danach durch Brandstiftung zerstört.
Nach 10 jähriger Renovierung am 14.Juni 2004 Einweihung der Kirche und Nutzung als örtliches Kulturzentrum. Auch das alte Pfarrhaus wurde erneuert, der Friedhof eingefriedet, das alles wird von einem Küster betreut und gepflegt. Durch den Förderverein Gr. Legitten und deutschen Spenden wurde dieses ermöglicht. In der Kirche , die hell und schlicht gestalltet ist, trafen wir zwei Damen aus Deutschland, die sich seit Jahren für den Wideraufbau angagieren.
Unser Wunsch zum ehemaligen Gut Waldhausen zu fahren, wurde positiv aufgenommen, alle fuhren mit. Ein Weg zu den Vorfahren, mit vielen Gefühlen und Gedanken behaftet. Hier trafen wir Lidda und Katharina, dank Bernd und Vadim war eine Verständigung möglich. Viele Fragen! Den Weg von Waldhausen nach Labiau gab es noch, gern wollten wir ihn fahren.
Bernd radelte mit der Gruppe über die Haffstrasse nach Labiau zum Marktplatz. Lidda, Katharina, Vadim und wir mühten uns auf dem kleinen Weg, umsäumt von Feldern und Brachland nach Labiau, vorbei am Schulgebäude, an der Musikschule, am Krankenhaus zur Hauptstrasse. Schade, dass wir so wenig Zeit zur Verfühgung hatten.Wir verabschiedeten uns und radelten mit Vadim weiter zum Marktplatz zur Gruppe. Labiau, eine alte Stadt, 1258 Labegone erste urkundliche Erwähnung. Zur Ordenszeit war die Wasserburg, von Deime und Schlossgraben umgeben, ein wichtiger strategischer Stützpunkt.
Die gotische Pfarrkirche stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, heute eine unschöne Ruine mitten im Ort. 1679 - 1689 Bau des Großen - und Kleinen Friedrichsgraben als Verbindung zwischen Deime und Memel. 1890 Bau der Eisenbahnlinie Königsberg - Labiau - Tilsit, diese Zugverbindung besteht noch heute und ist ein wichtiges Verkehrsmittel. Im Verlauf des 2. Weltkrieges wurde Labiau zu einem Drittel zerstört, die alten Häuser die vom Krieg verschont blieben sind grau in grau und renovierungsbedürftig. Auf dem Marktplatz im Zentrum werden Fisch Gemüse, Obst, Pflanzen, Bekleidung, Haushaltswaren angeboten. Ganz in der Nähe steht die neue Orthodoxe Kirche, 2005 entstanden, hell leuchtet das Gold der Kuppeln über den Dächern der Stadt. Eine kleine Uferpromenade endet an der alten Adler - Brücke die über die Deime führt, diese mündet bei Haffwinkel ins Kurische Haff.
Wir fahren stadtauswärts in westlicher Richtung zu unserem Quartier, dem evangelischen Gemeindehaus. Zimmerprobleme! Zwei Doppelzimmer und Mehrbettzimmer, außerdem für alle nur ein Bad. Nach meheren Telefongesprächen wurde für 4 Personen eine andere Unterkunft gefunden, das noch nicht fertige Hotel in der Nähe der Adler - Brücke, Bernd, Bernhard,Regine und Volker zogen um, wir begleiteten sie. Gegen 20:00 trafen wir uns alle in der Küche des Gemeindehauses zu einem reichhaltigen und schmackhaften Abendessen wieder.
Die Stimmung war gut, es wurde viel gelacht über Späße und nette Begebenheiten, ein Zeichen, dass alle wieder fit waren nach dem ansrengenden Tag und ca. 67 km gegen den Ostwind. Der Spruch von Bernd: in Russland regelt sich alles, erntet starken Protest von Bernhard und Volker. Wir nehmen es gelassen und lassen den Abend ausklingen, auf alten Sofas, am gut beheizten Ofen bei einem russischen Bier.
Margrit und Rainer
Strahlender Sonnenschein, kein Wind und warm, also hervorragendes Pfingst- und Radfahrwetter.
Nach der Besichtigung des Gemeindehauses der Evangelischen Kirche, unserem "Hotel" und einem vorzüglichen Frühstück, serviert von den beiden Haushälterinnen, besuchten wir den Markt. Das Angebot war umfangreich. Neben gut sortierten Ständen versuchten ältere Frauen kleine Mengen Frischmilch, Blumen und Gemüse zu verkaufen. Wir deckten uns für ein Picknick ein und verließen das Städtchen über die Promenade längs eines Kanals.
Über eine Klappbrücke überquerten wir die Deime und gelangten an den Polesskikanal (Großer Friedrichgraben). Dieser Graben, ein ca. 40 Meter breiter Kanal, hatte die Aufgabe, den Booten die gefährliche Fahrt über das stürmische Haff aus dem Memelgebiet nach Königsberg zu ersparen und als Vorfluter für die künstliche Entwässerung zu dienen. Die erste Aufgabe erledigte sich durch den Bau der Eisenbahn. Die Entwässerung wird noch betrieben, obwohl die Flächen kaum landwirtschaftlich genutzt werden. Spannend würde es für die Hausbesitzer, wenn der Gebietsregierung einfallen sollte, die zahlreichen Schöpfwerke aus wirtschaftlichen Gründen abzuschalten. Dann dürfte manchem Hausbewohner das Wasser bis zum Halse stehen.
Auf schmaler aber asphaltierter Straße kamen wir bei dem herrlichen Wetter gut voran. An dem Kanal gingen eine Unzahl von Anglern ihrem Feiertagsvergnügen nach. Großartige Fänge beobachteten wir allerdings nicht.
In Golovkino (Elchwerder) sollte eine Bootsfahrt auf der Matrosovka (Gilge) nach Seckenburg beginnen. Das Boot des dafür verpflichteten Fischers hatte Motorschaden. Unser russischer Begleiter Vadim beschaffte Ersatz, allerdings für eine kürzere Strecke, denn der Fischer mußte seine Töchter am Nachmittag noch nach Kaliningrad/Königsberg bringen. An eine längere Diskussion und der Verladung von uns und unseren Rädern schloss sich eine beschauliche Bootsfahrt über das Wasserkreuz auf der Gilge an. Endstation war der Anleger eines größeren Schöpfwerks am Ostufer. Wir aber wollten nach Westen! Kein Problem. Vadim organisierte eine kurze Strecke stromaufwärts eine Fährdienst bestehend aus einem Bauern und seinem Ruderboot BW 0735.
Der Bauer legte sich tüchtig ins Zeug. Nach 8 Überfahrtenwar alles am Westüfer und der Bauer um 250 Rubel wohlhabender (reich wird er dort sicher nie). Das Angebot der Bäuerin, auf dem Hof zu rasten, wurde dankend abgelehnt. Wir wären im Kuhmist versunken. Stattdessen rasteten wir auf einer Wiese am Wegesrand und verzehrten die in Labiau gekauften Lebensmittel.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Forsthaus Pait, ein von einer Stiftung finanziertes Vorhaben mit dem Ziel, aus der Anlage wieder etwas zu machen. Allerdings ist das Ziel noch ein gutes Stück entfernt. Wer von einem beschaulichen Forsthaus mit Pool geträumt hatte, lag verkehrt. Mit unserem Kommen hatte wohl niemand so richtig gerechnet, denn weder war die Köchin anwesend noch Bier im Haus und andere Gäste hatten zwei unsere Zimmer (noch) belegt. Der Auftrag an den Hausmeister lautete also: 1. Köchin beschaffen, 2. Bier besorgen, 3. Zimmer freimachen. Das brauchte Zeit und deshalb fuhren wir an das Haff nach Inse, einem kleinen Ort, bestehend aus Häusern beidseitig eines Flusses, erfuhren, daß Fischer keine befestigten Weg zum Haff brauchen (wir also das Haff nur von weitem sahen).
Zum Forsthaus zurückgekehrt waren im Prinzip alle Aufträge erledigt. Die emotionalen Äußerungender Köchin gegenüber dem Hausmeister störten uns nicht. Auf jeden Fall leiferte sieein anständiges Abendbrot ( und zeigte am nächsten Morgen sogar ein freundliches Gesicht ).
Den sonnigen Abend ließen wir im "Kräutergarten" ausklingen und waren, nachdem sich das Personal außer dem Dackel und dem Schäferhund abgesetzt hatte, allein auf weiter Flur in der Elchniederung.
Hans Georg Hünger
Pünktlich wie immer machte sich die Gruppe früh auf den Weg nach Sovetsk/Tilsit, nicht ohne eine gewisse Erleichterung das Forsthaus wieder verlassen zu können, entsprachen doch die Verhältnisse im Haus nicht dem Ruf, der dem Forsthaus vorausging und damit auch nicht unseren Erwartungen.
Der Haushälterin ging bei unserer Abfahrt dann doch noch einmal ein kurzes Lächeln über das Gesicht, das sie bis zu diesem Zeitpunkt hartnäckig vermieden hatte. Wir entschieden uns, die Straße nach Norden, Richtung Grenze zu fahren, nachdem wir erfahren hatten, dass wir keine Sperrbezirkskontrollen zu erwarten hätten.
In Moscowskoje/Jägerhof bogen wir nach Jasnoje/Trumpeiten ab, einem Ort, den die wie immer vorneweg Fahrenden viel zu schnell passierten. Irmtraut, Margrit und Bernhard waren nicht mehr da und die anderen warteten weit zerstreut auf der Straße nach Timjerjazjewo/Neukirch. Es musste was passiert sein. Die ersten fuhren zurück. Zum Glück kamen ihnen in weiter Ferne Radfahrer entgegen.
Irmtraut und Bernhard erreichten die Wartenden mit einem pfeifenden Knall und die Luft war raus - aus Irmtrauts Hinterrad. Der Mantel war völlig abgefahren. Volker fluchte verhalten, er war wieder an der Reihe, den Schaden zu reparieren. Mit Bernhards selbstklebenden Flicken, etwas Pappe und Duck Tape wurden Schlauch und Mantel repariert und es ging weiter. Beeindruckend und zugleich Wehmut weckend die Kirchenruine in Neukirch. Immer wieder Zeugnisse aus der frühen Geschichte wie auch der jüngsten Vergangenheit.
Weiter ging es in zügiger Fahrt nach Slawsk/Heinrichswalde, wo uns Volksfeststimmung erwartete. Es war der Tag des Kindes in Russland, der 1. Juni. Die Kinder waren bunt herausgeputzt und die Mütter fein gekleidet. Welch ein Gegensatz zur armen Landbevölkerung, der wir vorher begegneten. Und es gab sogar ein Geschäft, in dem wir, auf Volkers ständigem Drängen hin, einen Fahrradmantel indischen Fabrikats für 220 Rubelchen, ca. 5 Euro kauften - zur Sicherheit.
Gegessen wurde noch in der Mensa des Ortes, ein Überbleibsel aus der sowjetischen Zeit. Gegenüber stand die neugotische Kirche, die leider nur von außen besichtigt werden konnte. In den letzten 15 Jahren hatte man mit Spendengeldern den Verfall der Kirche versucht aufzuhalten. Vor 2 Jahren erst wurde eine alte Glocke aus Deutschland in der Kirche installiert und feierlich mit einem Festgottesdienst eingeweiht.
Dann entschieden wir unser Tagesziel über Rschewskoje/Linkuhnen und Oktjarskoje/ Alt Weynothen anzufahren, eine gute Entscheidung. Beide Dörfer machten einen angenehmen Eindruck und man spürte die Nähe der Großstadt Tilsit. Die Einfahrt nach Tilsit war ganz schön, trotz des furchtbaren Straßenpflasters aus alter Zeit. Es ging vorbei an der einzigen noch produzierenden Zellulosefabrik - kein Aushängeschild für eine umweltbewusste Industrieanlage - und herrschaftlichen Stadtvillen, deren ehemaliger Glanz aus der Jahrhundertwende noch immer zu erkennen ist.
Dann war auch schon das Hotel „Rossija" nach einer obligatorischen Ehrenrunde um das davorstehende Lenindenkmal erreicht. Der Elch gegenüber beobachtete die Radfahrer majestätisch. Zuerst einmal eine Dusche im Hotel, dann ein kaltes Bier in einem russischen Biergarten - Kiosk mit davorstehenden Holztischen und Bänken - und die Eindrücke aus dem ForsthausPait, dem Start dieser Etappe, waren schnell vergessen, wozu auch die jungen Mädchen mit den auffallend hohen Absätzen und kurzen Röckchen ihren Teil dazu beitrugen. Mit einem wunderbar warmen Abendlicht über der Luisenbrücke verabschiedete sich ein weiterer Tag von uns auf dieser bisher so erlebnisreichen Fahrradtour.
Nach einer regenreichen Nacht und einem köstlichen Frühstück im Hotel Kronus starteten wir um 9 Uhr bei strahlendem Sonnenschein zum nahen Grenzübergang nach Litauen über die historische Königin Luise-Brücke. Nach der Verabschiedung von unserem treuen, russischen Begleiter „Vadim" erfolgte die genaue, aber zügige Grenzabfertigung auf der russischen Seite vor der Brücke. Hinter der Brücke wartete schon Bernds Bus zur Aufnahme unserer Räder und auch uns selbst, da wir ca. 50 km nach Heidekrug gefahren wurden, denn die heutige Tour wäre mit ca. 100 km per Rad zu lang gewesen.
In Heidekrug kleine Kaffeepause und dann Start nach Windenburg, aber zuvor musste noch eine Reifenpanne behoben werden (nunmehr die Dritte bisher). Glücklicherweise hatten wir am Vortag in Heinrichswalde einen Ersatzschlauch und eine neue Decke kaufen können, so dass die Reparatur nicht allzu lange dauerte.
Erst danach konnten wir nach Windenburg starten. Ca. 8. km vor dem Ziel noch ein kleiner Abstecher nach links zur Minge-Brücke, von wo man einen herrlichen Ausblick über Wiesen und Seen bis zum Haff genießen konnte.
Um ca 16.30 Uhr Ankunft im wunderbaren Hotel Ventaine direkt am Haff gelegen. Nach dem schmackhaften Abendessen (Vorspeise: In Knoblauch geröstetes Brot und Fisch a la carte) gab es im Gegensatz zum relativ „trockenen" Vortag endlich wieder einen Wodka. Ein Spaziergang zum Leuchtturm und der Vogelfang-Station bei herrlicher Abendsonne war der krönende Abschluss.
Bernhard
Nach der Übernachtung in Vente/Windenburg ist der Himmel heute bedeckt, es ist kühl und es regnet leicht. Wie immer gehen wir um 8 Uhr zum Frühstück. Die Frühstücksteller sind fertig angerichtet und als zweiten Gang bekommen wir noch ein Omelett serviert.
Um 9 Uhr Abfahrt mit den Rädern nach Minge, das Venedig unter den Dörfern im Memeldelta. Der Sohn von Romas fährt uns mit dem Boot Aistis zur Anlegestelle Uostadvaris/Kuvertshof.
Kuvertshof liegt am linken Ufer der Atmath 6 km nordwestlich von Rusne/Ruß. 1907 entstand hier ein dampfbetriebenes Wasserhebewerk, das das überschüssige Wasser aus den Wiesen Richtung Memel abpumpte. Während der Fahrt durch die ungeheuer ruhige, weite und einsame Landschaft werden uns Kaffee und selbstgebackener Kuchen angeboten. In Kuvertshof lassen wir das Gepäck an Bord und fahren dann los nach Rusne.
Rusne liegt auf einer Insel im Mündungsdelta des Flusses Memel. Bei Regen fahren wir durch den Ort und besichtigen die Evangelische Kirche. Sie wird uns aufgesperrt und wir können auch einen Blick in das Innere werfen. Die Kirche ist schon weitgehend saniert, macht einen guten Eindruck und es finden natürlich auch Gottesdienste statt. Danach gehen wir zum Essen in ein einfaches Selbstbedienungsrestaurant, das aber hervorragendes Essen für sehr wenig Geld anbietet: z.B. Šaltibaršciai (Kalte Gurken-/Rote Beete-Suppe mit Kartoffeln) und natürlich das Nationalgericht Cepelinai (Rezepte am Ende).
Wir fahren wieder zurück durch die einsame, weite und wasserreiche Landschaft. Eine Fahrt, die leider bei Regen und kühlem Wind nicht so angenehm ist und wir sind froh bald wieder Kuvertshof erreicht zu haben, wo wir wieder aufs Schiff gehen und in wilder Fahrt über das Haff nach Nidden fahren. An Bord werden wir erneut gut versorgt: mit Schnaps (Zamagon), Käseplatte, Tomaten Speck und Kuchen. Das Haff ist so rauh und aufgewühlt, dass das Boot kreuzen muss und wir schauen alle weit auf die Horizontlinie, um nicht seekrank zu werden. Nach 1 ½ Stunden ist die Fahrt um 15.30 Uhr beendet.
Wir beladen ein letztes Mal unser Fahrrad, fahren zum Fahrradverleih, um sie abzugeben, holen unser zurückgelassenes Gepäck bei Bernd ab und beziehen unsere Zimmer im Hotel Jurate. Das Hotel hat eine lange Tradition (früher Königin Luise), bietet aber heute nur sehr praktisch eingerichtete Zimmer ohne Atmosphäre.
Da geht es bei Irma schon anders zu und wir werden sehr herzlich von ihr begrüßt.
Ein Spaziergang durch Nidden führt uns zur hervorragend renovierten Kirche (die Tochter des Malers Mollenhauer hat sehr viel dazu beigetragen, einmal natürlich finanziell, aber auch indem sie darauf bestand, dass die Kirche restauriert und nicht nur renoviert wird. Denn das bedeutete, dass ein Spruch der Bergpredigt („Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen") wieder in deutscher Sprache im Bogen um die Altarnische angebracht wurde und nicht in litauisch wie das viel lieber gesehen worden wäre.
Auf dem angrenzenden Friedhof liegen etliche Prominente Niddens begraben, so z.B. Hermann Blode, der das berühmte Hotel Blode betrieben hat, das ganz besonders von den Malern der Künstlerkolonie in Nidden besucht wurde und bis zum 2. Weltkrieg fast alles was Rang und Namen in Künsterlerkreisen hatte beherbergte. Im Blode-Museum wird das alles sehr schön dokumentiert und auch in Reproduktionen die berühmten Gemälde mit Ansichten von Nidden gezeigt.
Am Abend gehen wir Essen bei „Mama" (neben Restaurant Kursis) und genießen Steinbutt und Zander und als Nachspeise Waffeln mit Erdbeeren (lt. Bernhard „gemangelt"). Der Vodka tut schon seine Wirkung und nach diesem eher kühlen, regen- und wellenreichen Tag kommt am langen Vor-Sommerabend endlich die Sonne durch - und Volker steckt vor Begeisterung die Plastiknelken in sein Bierglas...
Fazit: Nicht jeder interessiert sich für den Gesang der Vögel in verträumten Auenlandschaften...(siehe Tagesmotto).