Die Flussfahrt am Don - Berichte unserer Gruppe
11.6.2010: Samstag Ein russischer Sommer - vom Traum zur Wirklichkeit
2008 Haff-Tour mit Bernd Schimke und erste Begegnung mit seiner Frau Svetlana. Diese stammt vom Don und verbringt dort regelmäßig den Sommer mit Söhnchen Alexander bei ihrer Mutter Nina.
Der Don ist für Kanuten fahrbar und nach Russland wollten wir sowieso immer schon einmal.
Die Idee war geboren, Svetlana prüfte die Umsetzbarkeit und die Vorbereitungen liefen an: Russische Geschichte (Jörg), Literatur (Thora), Musik und Lieder (Maik), Pleitgen's Don-Film (Heinrich), Scholochow's „Der stille Don" sowie Svetlana's Moskau-Highlight's wie Bolschoi-Theater, Kreml-Besuch und Museumsangebote mobilisierten „Alt und Jung".
So trafen sich 14 Russlandfahrer schließlich am 11.06.2010 um 8.30 Uhr mit großem Gepäck am Waller Wacholder-weg und benötigten gleich zwei Busse (Kleinbusse) zur Flughafenfahrt. Kleine Probleme, wie A2-Stau bei Lehre, die elektronische Ticketlösung und das Übergepäck der schwarzen und roten Riesenmonster wurden locker bewältigt.
German Wings A319 startete Richtung Osten. Uns Kanuten war die Orientierung aus der Luft ein Leichtes: Maschsee, Elbe-Seiten-Kanal neben Ehra-Lessien und Oderhochwasser waren die markanten Punkte. Kurzfristige Unruhe über den Wolken, auch wegen der blonden Bedienung, bei der aber selbst der Kaffee kostete. Moskau bedeckt, 15 Grad. Airport Vnukovo aus Rost und Rohbau gemischt. Kryptisches Kyrillisch bei Klo und Kontrolle.
Svetlana war zur Stelle, der Kleinbus wartete schon, eng und zügig ging's zum Hotel Ibis an der Paveletskaya. Parallel dazu stürzte sich Svetlana mit Martin und Konni ins Freitagsfeierabendgedränge in S- und U-Bahn.
Kurz geduscht, Rubel aus dem Hotelautomat, Heikes Talent zum Kassenwart entdeckt und los ging's ins Herz Moskaus. Abendessen im berühmten ukrainischen Spezialitätenrestaurant „Schinok" mit üppigen Vorspeisen (Fische, Salate, weißer Speck und schwarzes Brot) und Hauptgang mit Minipellkartoffeln, Fisch, Fleisch und Schnaps. Die Entdeckung aber war der Blaubeersaft.
Anschließend erste Eindrücke „Moskau bei Nacht", großzügig erleuchtet dank Oberbürgermeister Luschkow. Trubel auf der Twerskaja-Uliza mit Besuch des Delikatessengeschäftes im Jugendstilpalast der Brüder Jelissejew, schräg gegenüber der Moskauer Wohnung von Bernd und Svetlana. Blick auf den erleuchteten Roten Platz - wegen Rockkonzert gesperrt, überwacht vom Reiterdenkmal Schukow's. Bei 12 Grad und leichtem Regen per Metro und per pedes um 0.30 Uhr ins Ibis.
Ach ja: WM-Vorrundenspiele: Südafrika : Mexiko 1:1, Uruguay : Frankreich 0:0
Konni
12.6.2010: Sonntag Der Auftakt, Moskau entdecken
Heute ist russischer Feiertag, Tag der Unabhängigkeit (1991 Auflösung der Sowjetunion), alle Geschäfte sind geschlossen.
Nach dem Frühstück im Hotel begrüßt uns Svetlana und begleitet uns zur Metro-Station Pawelezkaja. Wir fahren wieder auf dieser endlos langen Rolltreppe in den Untergrund, dann eine Station mit der U-Bahn.
Svetlana übergibt uns an unsere Moskauer Führerin Galina, mit der wir zuerst die berühmte Tretjakow-Galerie besuchen, die der Moskauer Industrielle Pawel Tretjakow (1832-1898) als Sammler zeitgenössischer Kunst gegründet hat. Galina bringt uns die ausgestellten Bilder im Zusammenhang mit Ereignissen der russischen Geschichte und den europäischen Zeitströmungen der einzelnen Jahrhunderte nah. Sie zeigt uns nicht religiöse, sondern ausschließlich weltliche russische Malerei.
Anfang des 18. Jahrhunderts wurden Porträts reicher Leute gemalt, große Bilder der Zaren mit Darstellung der Insignien weltlicher Macht, Danach überwiegen Städteansichten und Porträts russischer Persönlichkeien, z.B. Dichter oder Fürsten.
Ende des 19. Jahrhunderts wird das Leben des einfachen Volkes Gegenstand der Bilder, und viele russische Landschaftsbilder entstehen. Russische Geschichte wird lebendig in diesen Bildern und durch die begleitenden Erzählungen von Galina. Zum Schluß sehen wir noch Gemälde, die nach der russischen Revolution 1917 entstanden sind.
Kaffeepause im Museum. Die Köpfe rauchen, daher ist der Spaziergang zur Christi-Erlöser-Kathedrale sehr willkommen, Die alte Kathedrale hatte Stalin 1931 sprengen lassen, Chruschtschow. baute hier ein Schwimmbad, aber auf Veranlassung des Bürgermeisters Luschkow wurde die Kathedrale 1997 wieder detailgetreu aufgebaut, sie ist total bunt ausgemalt, auch die Unterkirche, mit prächtiger Ikonostase.
Beim anschließenden Spaziergang durch die schattigen Wallanlagen gibt es ein Foto-Shooting beim Denkmal Scholochows in seinem (Don-?)Kahn, wir biegen dann in den Arbat, die berühmte Fußgängerzone Moskaus, 1 km lang, mit schönen alten restaurierten Gebäuden, Cafes und Gaststätten voller Menschen,
Am Ende der Smolensker Platz, an dem Hochhäuser im stalinistischen Zuckerbäckerstil die Altbauten überragen, eines ist das Außenministerium.
Mit der Metro geht es zum Theaterplatz, wo wir Svetlana wieder treffen. In einem urigen Restaurant ist für uns im Gewölbekeller ein Tisch vorbereitet, es gibt Bier in 0,5 l Karaffen für jeden und Wodka satt, ein Buffet kalt oder warm. Wir speisen wie die Fürsten und verschönern uns dann für unseren Besuch im Bolschoi-Theater. Rosemarie escheint im kleinen Schwarzen, die Herren mit Oberhemd und Krawatte. Martin wechselt im Lokal T-Shirt gegen Oberhemd unter Anleitung von Rosemarie. Leider verschwindet er kurz vor unserem Aufbruch und ward nicht mehr gesehen. Alle warten, Svetlana wird ganz unruhig, weil die Zeit drängt. Als er endlich kommt, müssen wir fast zum Theater rennen. Hinter uns werden sofort die Türen geschlossen, und Puccinis Oper „La Bohème" beginnt.
Das Bolschoi-Theater beeindruckt mit seinen Balkonen und roter Samtbestuhlung, das Bühnenbild und das Orchester excellent, die Solisten und die Chöre einfach wunderbar. Wir sind hingerissen.
In der Pause versucht Martin Wiedergutmachung, aber der Champagner ist einfach wahnsinnig teuer, so bleibt es bei Weißwein (auch teuer!) für die Frauen, und später spendiert Martin das Bier im Park für uns alle.
Nach dem Theater werden wir von Svetlana schon erwartet, holen an einem Kiosk Bier und setzen uns in den Park des Gründers von Moskau und lassen den Tag ausklingen. Rosemarie singt auf berührende Weise für uns das Glaubensbekenntnis, Konni badet seine müden Füße in der öffentlichen Brunnenanlage und Jörg meldet später den Verlust seines Oberhemds mit Krawatte, was ihn aber nur mäßig traurig stimmt.
Alles in allem: ein reicher Tag mit vielen Höhepunkten!
Maik
Sonntag 13.6.2010: Erneut Sightseeing in Moskau
Svetlana holt uns bei drückender Hitze um 9.30 Uhr im Hotel ab. Wir fahren die üblichen 2 U-Bahn-Stationen zum Treffen mit Galina.
Fußweg durch den Alexandergarten, vorbei am Grabmahl des unbekannten Soldaten. Im Hintergrund befinden sich Gedenktafeln für bedeutende Personen Russlands.
Das Rüstkammer-Museum gilt als Schatzkammer der Zaren. Ausgestellt sind: Staatsgeschenke, Zarenkrone, Szepter, Reichsapfel , ein edelsteingeschmückter Thron sowie die größte Kutschensammlung der Welt. Dazu Pferdeschmuck, Sättel, Kleidung der Herrscher und der adeligen Damen. Eine sehenswerte Sammlung von Faberge-Eiern rundet die Ausstellung ab.
Die Waffensammlung enthält keine echten Kampfwaffen, sondern Geschenke anderer Herrscher und Botschafter als Schmuckgegenstände, oft mit Edelsteinen verziert.
Nach 70 Minuten in dem Museum sind alle erschöpft. Kurze Kaffeepause im Museums-Restaurant.
Wir gehen weiter und erreichen den Zarenpalast. In diesem empfängt der Präsident Staatsgäste; regiert wird von hier aus nicht, es sind lediglich Repräsentationsräume. Der anliegende Facettenpalast beherbergt Thron- und Empfangssaal der Zaren und wird heute für Empfänge aller Art des Präsidenten genutzt. Für das „Fußvolk" wie uns nicht zugänglich.
Die Krönungskirche der Zaren wird heute nur noch als Museum genutzt. Hier wälzen sich Massen von Besuchern durch (wir natürlich auch). Rosemarie kämpft inzwischen mit einem Hungerast, ich mit totaler Schläfrigkeit. Wir schleppen uns noch vorbei an der Zarenglocke, die durch Brand zerstört, restauriert und incl. rausgegbrochenem Stück ausgestellt ist.
Als letztes noch das Senatsgebäude: Nach Lenin, Stalin und den KPdSU-Generalsekretären amtiert hier heute der Präsident.
Am Ende der Führung Gewitter und Regen. Galina bringt uns in ein riesiges Kauhaus unter dem Manegenplatz. Wir gönnen uns Kaffee und Muffins im Einkaufszentrum und danach noch ein kurzer Bummel durchs berühmte Kaufhaus GUM. Sehr beeindruckend, elegant und teuer.
Um 17.00 Uhr Treffen mit Svetlana am Shukow-Denkmal. Zu Fuß ins Esslokal vom Vortag (hatte uns gut gefallen).Angenehme Überraschung: Thora und Roland laden uns alle zum Essen ein. Anlass: ihr gemeinsamer Geburtstag vor einigen Tagen.
Nach dem Essen mit der U-Bahn ins Hotel, um das Gepäck abzuholen. Maik und ich warten auf einer Mauer sitzend vor dem Bahnhof auf die anderen und das Gepäck. Die Miliz verscheucht uns von der Mauer und droht sogar mit Verhaftung.
Um 21.30 Uhr beginnt die abenteuerliche Nachtfahrt in den Schlafwagen nach Eliz. Das Belegen der Abteile ist Nahkampf pur, es erinnert an eine Katastrophenübung. Um 22.30 Uhr liegen wir endlich müde auf den schmalen Pritschen (Martin und ich im Abteil mit Anna und Jörg). Alle schlafen sehr ruhig, bis um 5.00 Uhr die Nacht zu Ende ist.
Brigitte
14.6.2010: Ankunft im „Baza Chaika" und Besuch des Nonnenklosters Tychon
Pünktliche Ankunft mit dem Liegewagen aus Moskau morgens kurz nach 5 Uhr in Elec (Provinzstadt, ca. 120 000 Einwohner, Heimatstadt von Svetlana). Nach 45 Minuten Busfahrt - unterwegs Hinweisschild: Novosibirsk 1136 km - durch üppig blühende Wiesen, teilweise bewaldet und durch Straßendörfer kamen wir in unserer „Baza Chaika" an. Unterwegs schöner Blick auf Zadonsk mit seinem blauen Kloster und auf den Don. Bei Ankunft in unserem Quartier waren wohl alle von der schönen Lage am Hang zum Don überrascht. Nach Gepäck abstellen, saunieren, Gang zum Don oder Verweilen in den ersten Sonnenstrahlen konnte man auf unterschiedliche Weise die „Stille des Don" genießen, bei totaler Ruhe, nur Naturtöne waren zu hören
8 Uhr Frühstück in der Kantine, gewöhnungsbedürftig, aber gut schmeckend. Es gab Buchweizengrütze, gestockte Eier und Kaffee oder Tee. 9.30 Uhr Abfahrt zum Kloster Tychon (??). Bevor wir zum Kloster gingen, besuchten wir die heilige Quelle von Tychon, einem Mönch (1724 - 1783), der hier angeblich sein Wasser schöpfte, um Wunder zu vollbringen. Er lebte im Kloster und wird heute noch sehr verehrt. Uns erwartete eine lange Schlange; es gab viele Leute, die mit Kanistern, Flaschen etc. gekommen waren, Wasser von der Quelle zu zapfen. Wir gaben auf, weil uns die Wartezeit zu lang war. Auch die Möglichkeit, in´s 4 kalte Wasser einzutauchen, hat keiner frequentiert.
Wir erreichten das Kloster nach einem kleinen Spaziergang durch einen Wald und den großen Garten. Das Kloster versorgt sich selbst durch Landwirtschaft und Viehzucht. Es wurde 1615 gegründet, während der Sowjetzeit nahezu vernichtet (während des Krieges Agentenschule und Hospital) und erst ab 1990 wieder für Gottesdienste genutzt. Heute ist es ein Frauenkloster. Es war schwierig, für den Wiederaufbau einen Architekten zu finden; anschließend hat der Architekt die Aufgabe als Traum und Erfüllung seines Lebens gesehen. Nach Aussage der Nonne, die uns das Kloster vorstellte, gibt es auch heute immer wieder Wunder, zuletzt 2000, als ein Kreuz zu bluten begann. Auch während der Gottesdienste blutete der Körper von Jesus. Die Nonnen sammelten das Blut und vergruben es an der Klostermauer.
Zurück zu unserer Baza. Erstes Bad im Don; erfrischend; sehr schnell fließender Fluss, der nur mit großer Anstrengung zulässt, gegen ihn schwimmend sich auf der Stelle zu halten, geschweige denn, gegen ihn anzuschwimmen. Mittagessen um 12 Uhr und gegen 15 Uhr Verteilen der Zimmer. Nach einem längeren Mittagsschlaf und Abendessen nochmals ein Gang zum Don, um unser gemeinsames Gruppenfoto mit Don-T-Shirt und Cap zum machen. Mit Durstlöschern und Gesängen aus dem Don-Liederbuch genossen wir die märchenhafte Kulisse mit untergehender Sonne und jetzt blauem Don. Zwischendurch stimmten wir für eine Geburtstagsfeiergruppe (Deutschlehrerin war Geburtstagskind) „Happy Birthday" an. Bei Bier auf der Terrasse des Restaurants mit Kaminfeuer brach schließlich die Nacht herein.
Anna
15.6.2010: Der erste Paddeltag und Ausflug nach Zadonsk
Dienstag, der 15. 6. ist unser zweiter Tag am Don. Zum Frühstück, 9:00 Uhr, treffen wir uns alle - wohlausgeschlafen und zufrieden. Unsere 10 Flussfahrer sind im „Paddellook" erschienen - Heinrich laut Heike als „Modescout". - Hinterher erwartet uns Svetlana zur „Versammlung". Sie holt Chefköchin Galina dazu, um mit ihr und uns das „besondere Abendessen" im Japanischen Pavillon zu besprechen. Galina fragt nach Wünschen für die Vorspeisen: Rosemarie schwärmt von Rote Beete Salat mit Hering, Jörg wünscht viel Gemüse, allgemeiner Zustimmung erfreuen sich Hirtensalat und Fischvariationen. Bei den Menuvorschlägen möchten 8 von uns Fisch mit Kartoffeln, Brigitte hätte gern Hühnerpastete, die übrigen entscheiden sich entweder für Huhn im Topf oder Grillfleisch. Anschliessend werden die Paddler mit Riesenlunchpaketen - wie für eine Fahrt bis ins Asowsche Meer - ausgestattet.
Wir Nichtpaddlerinnen begleiten unsere Sportler zum Bus, der sie flussaufwärts zum Bootstreff bringen wird. Wir freuen uns auf unsere Ruhe am wunderschönen Don und wollen uns spätestens um 13:30 Uhr zum Mittagessen wieder treffen. Aber, siehe da, Anna, Brigitte und ich sehen uns bald darauf beim „Sünnelen" am Flussufer. Auch Maik zieht's zum Don, ins schattenspendende Häuschen neben der Treppe.
Gegen 14 Uhr machen wir uns auf den Weg zum Essen. Danach zieht Maik sich zum Mittagsschlaf zurück, wir übrigen beschliessen eine kleine Donwanderung - aber schon auf der Treppe abwärts zum Fluss sehen wir die Boote - allen voran ein breiter Einer, mit dem Russen Alexander, ihm folgend Rosi und Daggi, dann zwei Dreierboote, danach Heinrich und Jörg und als Schluss ein Zweierboot mit russischer Besatzung.
Die Boote werden an Land gezogen. Nur das kleine Einerboot bleibt auf dem Wasser. Konni tobt sich in ihm noch mal so richtig aus. Beim Versuch einer Eskimorolle verliert er seine Brille, die aber dank ihrer Leichtigkeit von Thomas gerettet wird.
Laut Erzählung gab es beim Paddeln eine „Natursehenswüdigkeit" : eine Uferschwalbenkolonie in einem Steilhang.
Um 17 Uhr treffen wir uns beim Bus für eine Fahrt nach Sadonsk. Kurz vor der Stadt sehen wir linker Hand eine grosse Klosteranlage aus roten Ziegelsteinen und einen Friedhof; rechts ausgedehnte Wiesen mit blauem oder violettem wilden Salbei. In Sadonsk stellt uns Svetlana Stadtführerin Lena vor. Unser erstes Ziel - ein Gutshaus, an der Straße gelegen. Ursprünglich ist ein deutschstämmiger Apotheker - Ulrich - der Besitzer gewesen. Seit 2000 ist das Gutshaus Museum. Wir beschliessen, zuerst eine Töpferei im hinteren Teil des Gutsgeländes zu besichtigen. Der Töpfermeister hat sich darauf spezialisiert, alte Formen und Figuren als Anschauungsmaterial z.B. für Kinder zu fertigen, um so die Handwerkertraditionen zu bewahren. - Die Töpferei wird von der Stadt finanziert. Wir dürfen einem der Meister beim Drehen eines Topfes zuschauen.
Im Museum sehen wir, wie die ersten Menschen von etwa 24000 Jahren hier lebten - in „Häusern" mit Mammuthaut bespannt und einem Eingang, der mit Mammutknochen verziert war. Auch Abbildungen von Pflanzen aus der Voreiszeit und Fotos von heute hier lebenden Tieren, z.B. dem Ziegenmelker gibt es. Ausserdem ausgestopfte Tiere der Umgebung, wie Elch, Biber, Wildschweine. Ausgestellt sind auch schöne, alte, bunt bemalte Keramiktöpfe und Kacheln, Holzgerätschaften für die Gartenarbeit, Mode aus vergangener Zeit oder auch eine Versuchsanordnung zu den kommunizierenden Röhren für den Schulunterricht aus Deutschland.
Im 2. Weltkrieg war Sadonsk von den Deutschen besetzt, aber nicht bombardiert worden. Wir sehen Zeitungsausschnitte und alte Uniformen aus der Kriegszeit. Und viele Fotos von Kriegshelden und Heldinnen. Wir hören, dass dreieckig gefaltete Kriegsbriefe bedeuteten, der Verfasser lebt, viereckig gefaltete Briefe enthielten eine Todesnachricht. Von 13000 Soldaten an der Front fielen 9000!
Gegenüber des ehemaligen Gutes liegt das Muttergottes Kloster. Es wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von zwei Moskauer Mönchen gegründet. Wir besichtigen die sehr eindrucksvolle Wladimir Kathedrale. Im 18. Jahrhundert hat der später heilig gesprochene Tichon hier als Mönch gelebt. Heutzutage gibt es wieder 300 Mönche in diesem Kloster; insgesamt leben dort 500 Personen.
Als wir das Kloster verlassen, giesst es in Strömen. Wir laufen zum Bus und fahren zu einer Eiche, bei der Tichon früher gebetet haben soll. Sie ist eng mit einem alten Häuschen verwachsen. Es geht die Sage, wenn man sein Ohr an den Stamm hält, könne man die Eiche singen hören. Es giesst immer noch. So bleiben wir für eine Stadtrundfahrt im Bus. Wir sehen zahlreiche kleine Häuschen, oft mit geschnitzten bunten Fensterrahmen; auf dem Hauptplatz eine goldene Leninskulptur und dicht daneben noch eine hellblau-weisse Kirche.
Um 20 Uhr treffen wir uns im geheizten, gemütlichen Japanischen Pavillon zum Abendessen. Das reichhaltige Vorspeisenangebot - so wie gewünscht - begeistert uns. Schon danach könnte man satt sein. So ist auch Brigitte nicht traurig darüber, dass ihre Hühnerpastete vergessen wird. Es wird ein feucht-fröhlicher Abend mit angeregten Gesprächen. Brigitte fasziniert uns mit Loriot-Schwänken, Heike liefert Stichworte dazu. Auch nette DLR-Büro-Geschichten hören wir - und kanntet Ihr alle schon den Begriff „Exschwiegerfreund"? - Erst nach Mitternacht gehen wir alle in unsere Betten.
Thora
16.6.2010. Wildwasserpaddeln und Verwöhnbesuch bei Svetlanas Mutter
Der Himmel begann mit strahlendem Blau, im Laufe des Tages kamen Wolken dazu; mit den Wolken und dem tiefen Himmelsblau dazwischen war es ein herrlicher Frühsommertag.
Mit dem Bus des Hauses fuhren die 10 Paddler in Richtung Elec. Kurz vor dem Ort wurde an einem Denkmal Halt gemacht, das die Stelle markierte, wo der deutsche Vormarsch 1941 gestoppt wurde. Das Denkmal richtete sich gegen die „deutschen Faschisten". Eigentlich waren wir von einer Busfahrt von 45 Minuten ausgegangen. Wir sollten in der Nähe von Elec, selbst nicht am Don, sondern an der Sosna gelegen, in den Don einsetzen. In Elec fuhren wir noch an einem Afghanistan Denkmal vorbei, der Stiefvater von Svetlana, Victor, immer mit seinem grünen Auto vor uns her. Ihn und den Fahrer hielten wir (fälschlicherweise) für ortskundig. Die Straßen wurden immer abenteuerlicher; Slalom um Schlaglöcher; vorbei an eigentlich schönen alten, aber ärmlichen Holzhäusern bzw. Hütten; wir sahen auch die ersten Enten und fühlten uns an Postnicken erinnert. Aber eigentlich wollten wir ja an den DON („Wo ist er denn?").
Svetlana wurde nervös, der Fahrer immer stiller, Es wurden Telefonate geführt, mit wechselndem Erfolg. Svetlana; „Wenn man jemand fragt, geht alles schief". Als die Straße dann plötzlich ganz zu Ende war, wurde umgekehrt; Svetlana fauchte den Fahrer an; dieser, Svetlana gegenüber eher ruhig, telefonierte und fauchte seinerseits seine Gesprächspartner an. Auf jeden Fall mussten wir umkehren, durch Elec zurück und dann Richtung Osten. Jetzt wollte der Fahrer Zeit aufholen, kümmerte sich nicht mehr um Schlaglöcher; entsprechend hüpfte der Wagen auf und ab und Stefan schoss raketenähnlich nach vorne. Nur das Wagendach hinderte ihn auf seinem Weg nach vorne. Schließlich hielten wir nach 2 Stunden Busfahrt mitten auf einer Wiese, wo wir unseren Bootsmeister trafen, der uns zu den Boten an einer Stromschnelle im Don führte.
Im Zweier oder Dreier, immer mit einem unserer Helfer, ging es durch die Stromschnelle. Bis auf Heinrich und Jörg (warum eigentlich?) haben es auch alle erfolgreich versucht, Konni sogar mehrmals im Einer. Mit Roland, Stefan und einem unserer Helfer gab es auch das erste Kentern. Stefan wollte es dann noch einmal wissen, nutzte aber die Chance nicht: Vorne im Boot mit Daggi und einem der Helfer dahinter tauchten sie wie alle anderen unten am Übergang in die ruhigeren Gewässer vorne ein, wurden von Wasser überspült, aber wohl so heftig, dass Stefan nur kurz auftauchte, aber dann langsam nach unten verschwand. Es war kein Kentern, sondern schlicht ein „Sinken".
Nach einer Mittagspause in hohem Gras mit Feuer und russischem Tee stand noch eine kurze Paddeltour bis zur nächsten Donbrücke an. Da die Fahrt als kurz eingeschätzt war, wurde zügig gepaddelt. „Kurz" war dann aber 1 Stunde und 20 Minuten. Die Rückfahrt mit dem Bus ging schnell auf einer üblen Schotterpiste. Unser gescholtener Busfahrer wurde von Rosi beurteilt: „Unser Fahrer hat einen intelligenten Hinterkopf".
Die Daheimgebliebenen (Anna, Brigitte, Maik und Thora) genossen Don und Umgebung ohne uns; Sie machten eine Wanderung entlang dem Don.
Den Abend verbrachten wir genießerisch im Garten des Hauses von Svetlanas Mutter auf dem gegenüberliegenden Donufer (allerdings über eine Autofahrt von ca. 30 km). Svetlanas Sohn, ihr Stiefvater und weitere helfende Hände sorgten für ein üppiges Mahl im Freien unter einem grünen Weindach. Vorher bewunderten wir noch den riesigen Gemüsegarten und Hof mit Kaninchen, Hühnern, Gänsen und vielen, vielen Pflanzen wie Erdbeeren, Kartoffeln, Möhren, Gurken, Johannisbeeren, Stachelbeeren,.... Unter den Vorspeisen barst der Tisch: Gefüllte Eier und Tomaten, Salate, Gurken, Lauchzwiebeln, Lachs, Schnitzel, Käse etc. Das ging natürlich nur mit viel Wodka. Wie am Vorabend standen drei volle Flaschen auf dem Tisch, sie leerten sich aber schnell. Dann kam noch Selbstgebrannter hinzu und Bier und Molke. Der Selbstgebrannte wurde mit Sauerkirschen verfeinert. Ein Verdauungsspaziergang durch den Ort bis zur neu aufgebauten Kirche regte unseren Appetit wieder so an, dass noch viel Platz für Kuchen, russischen Tee und ... entstand.
Ein wirklich schöner, ereignisreicher Tag, der viel zu schnell endete. Wir wollten wohl kein Ende finden! So gelang die Geschenkübergabe nur mäßig. Man war leider schon abgefahren bzw. in´s Bett gegangen.
Jörg
Donnerstag, 17.6.2010 Paddeln und Motorbootfahren sind heute angesagt
Bei schönem Wetter Frühstück auf der Terrasse. Es gab - wie immer - 2 Sorten Brei, belegtes Brot, Kaffee, Tee und Marmelade.
Die Kanu-Gruppe hatte ihren 3. Wettkampftag und freute sich auf das wunderbare Ausrüstungsmaterial. Böse erwischt hat des den Chronisten: 1 Paddel, wo beim besten Willen keine Struktur mehr zu erkennen war und eine Schwimmweste, die nur die Halswirbel bedeckte, dafür den Kopf aber optimal schützte. Aufgrund dieser „Verkleidung" sah er so aus, wie er auch der gesamten Fahrt gehänselt wurde: der Bucklige.
Nach 2 Stunden Fahrt war das Lunchpaket an der Reihe. Die Hälfte des Inhalts ging an unsere Instruktoren, die es seltsamerweise im Dunkeln ihres chaotischen Kleinlasters vertilgten. Nach der Pause führen Heinrich, Jörg und Martin zum Camp, die anderen noch eine halbe Stunde weiter.
Im Camp erzählten uns Anna, Brigitte, Maik und Thora von ihrem Abenteuer mit dem Motorboot auf dem Don. Besonders der Kapitän hatte es den Frauen sehr angetan: hilfsbereit, charmant, souverän. Der Nachmittag wurde individuell genutzt:
- Beim Schwimmen im Don wurden die letzten Wassertiefen ausgelotet;
- Beim Diskutieren die Fußball-WM analysiert;
- Beim individuellen Plausch das Leben schlechthin erörtert.
Der Abend klang mit einem von Sveta organisierten „Sonderessen" aus. Wir aßen in einem Pavillon sehr delikate Vorspeisen und individuelle Hauptgerichte. Unsere Schatzmeisterin Heike erkannte sehr schnell, dass der Verzehr von Wodka und anderen Getränken eine weitere Auffüllung der Kasse verlangte. Die Gerüchte , dass einige wieder mal zu viel Wodka gesoffen haben, kann der Chronist nicht bestätigen.
Martin
18.6.2010: Zu Besuch bei Tolstoi in Jasnaja Poljana.
Die Kulturbeflissenen, die auch eine lange Autofahrt nicht scheuen, wollen heute nach Jasnaja Poljana. Zum Frühstück um 7:30 Uhr sind wir nur acht. Bereits dort holt uns Svetlana ab. Sie hat für die Fahrt Sonja mitgebracht. Sonja ist eine Enkelin der „Sängerin", die wir beim Besuch von Svetlanas Mutter leider nicht mehr hören konnten. Sie studiert gegenwärtig Deutsch und demnächst dann auch noch Englisch, um Lehrerin zu werden, und möchte mit Muttersprachlern Deutsch sprechen üben.
Um 7:50 Uhr erwarten wir unseren speziellen Bus. Der erscheint aber erst eine halbe Stunde später, da die Fahrer offenbar Probleme mit ihm hatten. Um 8:30 Uhr geht es dann endlich los. Die Strassen sind gut und auch frei, aber der Bus kommt nicht so recht auf Touren, so dass Svetlana noch einmal fragt, ob wir wirklich unter diesen Umständen die weite Fahrt machen wollen. Wir bleiben bei unserem Entschluß und bei engagierten Diskussionen über die Grundlagen der deutschen Verfassung, Demokratie und Grundgesetz, Atomenergie und Proteste dagegen kommen wir immer besser voran und erreichen um 12:45 Uhr Jasnaja Poljana.
Im Laufe einer zweistündigen Führung erhalten wir einen Eindruck von dem Gut und von Lew Nikolajewitsch Tolstoi, der hier aufwuchs und nach seiner Heirat, 1862, bis kurz vor seinem Tod 1910 auch hier lebte.
Das Gut ist 1800 Hektar groß, wurde aber um 1850 nach der Zahl der Arbeitskräfte bemessen, das waren 330 „männliche Seelen". Es war von Tolstois Großvater mütterlicherseits, Nikolai Sergejewitsch Wolkonsky 1793 erworben worden. Er galt als sehr streng aber auch fürsorglich für seine Leibeigenen. Er baute ein Haus für die Familie und rechts und links daneben Häuser für das Bedienungspersonal. Vom Eingang des Grundstückes mit den zwei Türmchen an der Straße führt die berühmte Birkenallee, der „Prispekt" direkt zum Haus. Auf dieser Allee machte Tolstoi jeden Morgen seinen Spaziergang, den er als sein „Morgengebet" empfand.
Lew Tolstoi wurde 1828 als viertes von fünf Kindern der Mutter geboren, zu denen später noch drei weitere Halbgeschwister hinzu kamen. Als er anderthalb Jahre alt war, starb seine Mutter und als er neun Jahre alt war starb auch sein Vater. Die Schwester seines Vaters übernahm danach die Vormundschaft. Im Alter von 16 Jahren begann er zusammen mit seinem Bruder das Studium der orientalischen Sprachen an der Universität in Kasan. Im Jahre 1847, als 19jähriger, erbte er das väterliche Gut. Da ihm das Studium in Kasan nicht behagte, brach er es ab und versuchte als „Gutsherr" die Lage der Leibeigenen zu verbessern. Außerdem legte er einen Park im englischen Stil, einen im französischen Stil, eine Apfelplantage und einen Pferdestall mit 25 Pferden und 6 Ponies an. Mit seinen Vorstellungen von der idealen Landwirtschaft ist er aber gescheitert.
Von 1851 an führte er als Fähnrich eine Artilleriebrigade im Kaukasuskrieg. Mit den Zuständen beim Militär war er nicht einverstanden und wollte seine Meinung dazu in einer eigenen Zeitschrift veröffentlichen. Um das zu finanzieren, verkaufte er sein Elternhaus, das zu diesem Zweck abgerissen wurde, und zog in eins der Häuser für das Bedienungspersonal. Die Zeitschrift wurde wegen ihrer kritischen Tendenz aber sehr schnell verboten. 1857 und 1860/61 bereiste er westeuropäische Länder und lernte dabei Französisch, Englisch, Italienisch und Deutsch und besuchte Künstler und Pädagogen. Nach der Rückkehr richtete er auf dem Gut eine Schule für alle Kinder des Gutes ein. Den Kindern gewährte er hier große Freiheiten und er selbst unterrichtete sie in zwölf Fächern. Aber auch die Schule geriet wegen zu freiheitlicher Ideen bald unter politischen Druck und wurde von der zaristischen Verwaltung wieder geschlossen.
1862 heiratete Tolstoi die 14 Jahre jüngere Sofia Andrejewna Behrs, mit der er 13 Kinder hatte. Sie war eine ausserordentlich tüchtige Frau, die Tolstoi alle Haushaltsprobleme abnahm, so dass er neben einer umfangreichen Korrespondenz jetzt Zeit fand für die großen Romane „Krieg und Frieden" und „Anna Karenina" . Seine handschriftlichen Texte dazu hat Sofia in Reinschrift übertragen.
Kurz: Tolstoi war ein Genie, beherrschte 19 Sprachen, verfügte über eine Bibliothek von 23000 Büchern und stand in Kontakt mit vielen Künstlern und Wissenschaftlern seiner Zeit. Er vertraute fest auf sein eigenes Urteil und akzeptierte keine übergeordnete Instanz. So kam es zu
Konflikten mit der zaristischen Verwaltung, dem Militär und der Kirche, die ihn 1901 exkommunizierte. Tolstoi liebte das Leben, war aber für sich selbst nicht besonders anspruchsvoll. Er war großzügig und versuchte das Los der Leibeigenen und Bauern zu erleichtern. Ganz in diesem Sinne werden auch heute noch Früchte des Gutes an einen Kindergarten verschenkt. Der Familienbesitz konnte so nur durch seine Frau bewahrt werden. Sein Grab ist ein einfacher grasbewachsener Hügel in einer entfernten Ecke des Grundstückes nur geschmückt mit einem roten Blumenstrauß.
Nach der Führung gibt es im Restaurant vor dem Tor des Gutes ein leckeres Essen, danach noch den Besuch des Grabes und um 16:50 Uhr besteigen wir wieder unseren Bus zur Heimfahrt.
Das Abenteuer nimmt seinen Anfang: trotz unzähliger Versuche springt der Motor nicht wieder an; und das bei einem Volkswagen!!! Die Handies kommen zu ihrem Einsatz. Die Fahrer organisieren einen Abschleppdienst und Svetlana kann einen Ersatzbus auftreiben. Um 18:00 Uhr ist das Abschleppauto zur Stelle. Wir müssen noch etwas warten, aber um 18:40 Uhr ist auch der Ersatzbus da. Er ist so schäbig und schmuddelig, dass man ihn in Deutschland nicht besteigen würde. Svetlana verbreitet Zuversicht: „Das ist ein russischer Bus, damit werden wir keine Probleme haben. Mit dieser Technik hat Rußland schon den 2.Weltkrieg gewonnen und der Fahrer wird einen Schaden notfalls selbst beheben können." Doch schon nach 10 Minuten fährt der Fahrer rechts ran, steigt aus und öffnet die Motorhaube; ein ganz schlechtes Zeichen! Der Bus reagiert nicht mehr auf das Gaspedal und der Fahrer ist machtlos. Er telefoniert aber mit einem Freund, der auch einen Bus hat und bereit ist, uns sofort abzuholen.
Wieder eine knappe Stunde warten. Um 19:45 Uhr ist der Ersatzbus da, der sogar einen wesentlich besseren Eindruck macht. Wir kommen sehr gut voran und die Stimmung ist gut, obwohl Rosi per Handy erfährt, dass Deutschland gegen Serbien 1:0 verloren hat. Man spricht von Kaviar und Krimsekt, wenn wir erst in der Basa Tschaika ankommen und Martin prognostiziert dafür 22:45 Uhr.
Um 21:25 Uhr gibt es jedoch Bedarf für eine Pinkelpause. Also rechts ran und die es drängt verschwinden kurz im Grünen. Doch dann - oh weh - der Motor springt wieder nicht mehr an, sondern gibt bei den Anlaßversuchen ganz jämmerliche Töne von sich. Schnell alle aussteigen und zu der benachbarten Tankstelle gehen, denn unser Bus steht dicht am Straßenrand und auf dieser Straße donnert ein großer LKW nach dem anderen an uns vorbei. Nicht auszudenken was passierte, wenn einer uns auch nur berührte.
Vor der Tankstelle befindet sich ein großer Parkplatz, auf dem etliche LKWs und einige PKWs etwas regellos parken oder herumrangieren. Am Rande drumherum gibt es etliche wenig einladend aussehende kleine Imbißbuden und davor eine ganze Reihe offener Grillstände, die furchtbar schwarz aussehen und durch schwarze Ofenrohre als „Schornsteine" in 2,5 m Höhe schwarzen Rauch ausstossen. In diesem Durcheinander läuft zusätzlich eine Horde kleinerer, streunender Hunde herum und es stinkt entsetzlich nach Hundescheiße (entschuldigt den Ausdruck, aber nur er trifft die Atmosphäre).
Was nun? Svetlana ist schon in Aktion. Wir sind noch 61 km von Jelez entfernt. Als erstes wird der Bus von Basa Tschaika nach Jelez beordert. Dann ergeben die Verhandlungen mit Männern von den Grillständen, dass drei bereit wären, uns mit ihren PKWs nach Jelez zu bringen. Als aber unsere Frauen diese „finsteren" Typen sehen, entscheiden sie spontan: „Zu so einem steige ich nicht ins Auto!"
Es bleiben noch zwei Möglichkeiten: Wir können den Bus von Tschaika bitten bis hierher zu kommen, das würde aber eine Stunde zusätzlich dauern und es dämmert jetzt schon, oder wir gehen zur Polizeistation, die nur 500m von der Tankstelle entfernt sein soll, und bitten dort um Rat und Hilfe. Das soll gemacht werden.
Auf dem Weg dorthin die Diskussion, wie kann es nur passieren, dass nacheinander drei Busse ausfallen? Mir fällt dazu ein Zitat von Jerry Cotton ein, das mir ein Kommilitone vor über 40 Jahren mitgeteilt hat: „Stößt dir ein Unglück zu, so hast du Pech gehabt. Ereignen sich zweimal nacheinander Mißgeschicke, so ist das „bad statistics", das kann selten mal vorkommen. Wenn dich ein Malheur aber dreimal nacheinander trifft, das ist „ enemies action"! Mit Rücksicht auf die schon etwas bedrückt schauenden Mitreisenden zitiere ich diesen Ausspruch lieber nicht. Svetlana versucht uns mit einer russischen Redensart aufzumuntern:"Wenn du vergewaltigt wirst, entspanne dich und versuch es zu geniessen!"
Vor der Polizeiwache stehen zwei riesige Polizisten. Einer mit umgehängter Machinenpistole der andere mit Revolver auf dem Rücken, Stablampe und Trillerpfeife. Dass auch die Fahrer der vorbei sausenden Autos Respekt vor ihnen haben, wird deutlich als plötzlich die Trillerpfeife ertönt und auf der Gegenfahrbahn ein LKW mit qualmenden Reifen eine Vollbremsung macht. Die Polizisten haben Verständnis für unsere mißliche Lage, und sagen, sie wollen versuchen, einen Bus zu stoppen, der uns nach Jelez mitnehmen kann.
Als erstes wird ein Kleinbus gestoppt, der aber leider besetzt ist. Um 22:25 Uhr kommt dann ein großer Doppelstockbus. Auch der ist fast voll besetzt, aber als der Polizist dem Fahrer versichert, er würde nicht weiter kontrolliert, läßt er uns einsteigen. Nur Jörg und Martin müssen auf der Treppe zum Oberdeck sitzen, alle anderen finden noch richtige Plätze. Wer in Fahrtrichtung sitzt, kann auf dem Bildschirm einen russischen Brutalo sehen, wer dagegen zurückschaut, sieht im Nordwesten ein wunderschönes Abendrot nach Sonnenuntergang, ganz in Swetlanas Sinne „entspannen und geniessen".
Gegen 23:15 Uhr erreichen wir den Busbahnhof in Jelez und der Tschaika Bus erwartet uns schon. Etwa um Mitternacht sind wir in der Basa Tschaika, wo wir von unseren Freunden erwartet werden und tatsächlich noch ein gutes Abendessen erhalten.
Roland
19.6.2010. Doswidania Don !
Es ist Samstag der 19.06.2010. Heute bzw. morgen um 0:55 Uhr geht es wieder zurück nach Moskau. Die Sonne scheint und der bevorstehende Abschied vom Stillen Don fällt nicht leicht. Nach einem kräftigen Frühstück mit Milchreis oder wahlweise auch Griesbrei geht es an die Verabschiedung der Küchencrew. Bis jetzt konnte der Kaffee und das Lübecker Marzipan noch nicht vollständig an den Mann bzw. die Frau gebracht werden, so dass die Wahl eines Abschiedgeschenks nicht schwer fiel. Mit 1000 Rubel Trinkgeld und einem lauten „Wilhelm Cha" wurde weiteres Erstaunen bei den Damen in Weiß erzeugt. Jedenfalls freuten sich alle....
Dann ging es zu unserem Bus und eine Stunde später waren wir in Elez. Zuerst war das Heimatmuseum dran. Hier wurde alles gezeigt, was die russische Provinz so hergibt. Vom ausgestopften Bären ohne Vordertatze über Bauernkleidung, 2. Weltkriegsdevotionalien (der 2. Weltkrieg ist gerade in Elez noch sehr präsent, da hier die Front verlief) bis hin zu Vasen und Schränkchen aus dem 19. Jahrhundert.
Weiter ging es mit dem Bus Richtung Innenstadt. Um das Gepäck ordnungsgemäß am Bahnhof zu verstauen, haben Svetlana und die Männer uns Frauen in der Stadt allein zurückgelassen. Mit der Aussicht auf die Plackerei mit den schweren Koffern sahen die Männer nicht richtig glücklich aus. Wir Frauen sind mit Olga, einer heimischen Stadtführerin, los um uns Elez anzuschauen. Die Stadt hat viele alte, zweistöckige Häuser. Sehr nett.
Da auf der Haupteinkaufstraße alles geschlossen hatte, führte Olga uns in einen Laden mit Blusen und Deckchen, alles aus Spitze. Wir Frauen gruselten uns ein bisschen ob dieser russischen Mode und waren innerhalb von 30 Sekunden wieder draußen. Rosi meinte dann auch, dass die Stadtführerin damit wohl nicht gerechnet hatte. Olga war dann auch etwas irritiert und wusste nicht mehr so recht etwas mit uns anzufangen.
Nachdem Maik und ich uns mit echt russischem Wodka (anstatt Spitze) eingedeckt hatten, war es dann soweit. Wir sollten uns mit dem Rest der Mannschaft wieder treffen. Auf dem Platz mit den drei Helden, der erste aus der Frühzeit, der zweite aus der Dschingis Khan Zeit, der dritte aus dem 2. Weltkrieg, kamen uns unsere Männer (Helden 4 bis 10) entgegen. Deren Bericht über die Kofferschließfächer hörte sich so an, als ob die Bahnhofsvorsteherin Profi im Knacken von Schlössern wäre.
Gleich neben den drei Helden stand ein Denkmal, welches von Putin nur für ausgewählte Städte vorgesehen wurde und sich mit den Kriegen Russlands beschäftigt. Nächster Besuchspunkt war eine reich verzierte orthodoxe Kirche in der gerade eine Messe abgehalten wurde. Nachdem alle Kopftücher, Überröcke etc. wieder abgelegt waren, zeigte Olga uns weitere Elezer Sehenswürdigkeiten, z.B. Denkmäler von Lenin (in seiner typischen Pose) und Bunin (weitgehend unbekannter Schriftsteller), sowie orientalisch anmutende Kirchen.
Mit platten Füßen trotteten wir am frühen Abend in ein typisch russisches Restaurant. Svetlana übersetzte, sozusagen simultan, die Speisekarte, so dass wir kurze Zeit später das Resultat vor uns hatten. Jeder saß glücklich vor seinem vollen Teller und ließ es sich mit genügend Pivo und Wodka oder Tschai gut gehen.
Später am Abend fuhren uns vier Taxen zum Bahnhof. Dort angekommen wurde Martin an einer dunklen Ecke von einem Russen angesprochen. Sofort zogen wir das Gehtempo an, bis der Mann sich zu erkennen gab. Es war Viktor, der Vater von Svetlana, der uns verabschieden wollte. Das freute uns dann sehr.
Die Stunde Wartezeit bis zur Abfahrt verkürzten sich Martin und Conni mit der „Goldenen Zehn". Anschließend standen noch Liegestützen an der Bahnsteigkante auf dem Programm....Männer.
Um 0:55 Uhr fuhr der Zug Richtung Moskau los und wir haben den Stift an Daggi und Stefan übergeben. Doswidania Don !
Heike
Sonntag, 20. Juni Abreisetag
Pünktlich um Mitternacht wurde der Staffelstab von Heike und Thomas übergeben.
Die Wartezeit auf den Zug nach Moskau vertrieben sich einige Mitstreiter mit der „Goldenen Zehn" und einem Liegestütz-Wettstreit. - die wenigen anwesenden Russen staunten nicht schlecht.
Endlich, der Zug fährt ein. Einsteigen, Türen schließen, gemütlich machen und sich von den gleichmäßigen Fahrgeräuschen in den Schlaf wiegen lassen...!
8.55 Uhr, Ankunft in Moskau bei herrlichstem Wetter. Unser Ziel ist der Rote Platz, der unserem Moskauaufenthalt bislang verwehrt geblieben war. Die neue Reisleiterin lädt zur Busfahrt ein. Entlang des vierzehnspurigen (in Stoßzeiten siebzehnspurigen) Gartenrings gewinnen wir einen Einblick in das heterogene, vielfach monumentale Stadtbild, vorbei an Theatern und Palästen. Auch die Ehefrau des Bürgermeisters Loschkow bewohnt einen davon.
Vorbei an der Matthias Rust Brücke, (Bolschoj Moskworetzkij Most) nähern wir uns dem Roten Platz, seit diesem Jahr umbenannt in Heike-Platz.
Ein überwältigender Eindruck, der gigantische Platz, eingerahmt von der Basiliuskirche, dem Kreml dem Gosudastvenny universalny magasin, kurz GUM, dem größten russischen Kaufhaus. Der Blick wird gefangen vom Historischem Museum, einem riesigen tiefrotem Gebäude im neo-russischen Stil. Gegenüber, in einer Entfernung von 500 m, begrenzt und beherrscht die Basilius Kathedrale den Roten Platz. Die Kathedrale sollte an die orthodoxe Tradition Byzanz anknüpfen. Nichts rühmt sie mehr, als die Legende, dass Iwan der Schreckliche dem Baumeister zum Dank für seine meisterhafte Arbeit die Augen ausstechen ließ, damit er keine zweite ähnliche Kirche in der Welt bauen könnte. Danke Heike!
Oh, was für eine Schlange! Mindestens eine Dreiviertelstunde, aber die einzige Möglichkeit dem Begründer der kommunistischen Bewegung in die Augen zu sehen - also anstellen!
Das Lenin Mausoleum ist als Stufenpyramide vor der Kremlmauer platziert. Unter den Augen der strengen Wächter steigt man eine Treppe hinab. Das indirekte Licht und die schlichten, kostbaren Materialien geben der streng geometrischen Grabkammer eine mystische Atmosphäre. Man darf weder sprechen noch innehalten und kann nur wenige Augenblicke den Leichnam Lenins auf sich wirken lassen.
Hinter dem Mausoleum, am Fuß der Kremlmauer ruhen andere berühmte Kommunisten, wie Stalin, Breznevs, Andropovs aber auch der erste Mann im All, Juri Gagarin oder der Schriftsteller Maxim Gorki. Danke Heike
Die anschließende Busfahrt beschert uns vielfältige Eindrücke. Nach einem kurzen Stopp am Neujungfrauenkloster geht es weiter Richtung Sperlingsberge. Vorbei am Puschkin Museum, der 1. U-Bahn Station, einer Doppelstockbrücke, dem Luschniki Sportpalast (Spartak Moskau) und sogar einer Skisprungschanze erreichen wir die Sperlingsberge mit einem überwältigenden Panoramablick auf die Stadt. Rückseits erstreckt sich die Lomonossow Universität, mit 240 Metern die höchste der sieben Stalin-Kathedralen im neoklassizistischen Stil. Mit den „sieben Schwestern, die außerdem das Außenministerium, Wohnungen, Hotels und ein Verwaltungsbüros beherbergen, hat sich Stalin anlässlich des 800-ten Stadtjubiläums auf dem Höhepunkt seiner Macht ein Denkmal gesetzt.
Unsere Zeit in Moskau ist abgelaufen. Unsere erstklassige Reiseleiterin hat es verstanden uns in wenigen Stunden ein vielfältiges und interessantes Bild der Metropole Moskau zu zeichnen. Mit vielen neuen Eindrücken besteigen wir das Flugzeug Richtung Heimat.
Dagmar und Stefan
Impressum
Teilnehmer, Texte:
Stefan Bott, Heinrich Dissen,
Maik Dissen, Konrad Donhuijsen,
Rosemarie Donhuijsen-Ant,
Anna Laskowski, Brigitte Matthiess-Sklorz, Swetlana Schimpke, Jörg Schwedes, Thomas Siegert, Roland Sittig, Thora Sittig, Martin Sklorz, Dagmar Stecker, Heike Walter
Fotos:
Heinrich Dissen, Maik Dissen, Konrad Donhuijsen, Anna Laskowski, Thomas Siegert,
Thora Sittig, Heike Walter
Inhalt/Gestaltung:
Heinrich Dissen
Reiseleitung:
Swetlana Schimpke,
Baltic Travel, Hamburg